Darla Migan über "Restoration"

Im Kontext der Kunstindustrie bezeichnet Restauration für gewöhnlich die Instandsetzung beschädigter Kunstobjekte, im Bereich des Historischen dagegen meist die fantastische Romantisierung prämoderner Lebensweisen. Im Rahmen der Liste 2021 möchte ich den Begriff der „Restauration“ weiter definieren, damit er auch die Sorgen und Nöte der Menschen und Orte jenseits der traditionellen Kunstweltzentren einschliesst. Denn angesichts der Veränderungen im Zuge der Pandemie – Veränderungen, die man ebenso im Kontext des Siedler- und des Neokolonialismus betrachten muss wie der ökonomischen Globalisierung nach 1989 und der Finanzkrise von 2008 –, muss endlich anerkannt werden, dass wir in einer Ökologie gegenseitiger Abhängigkeit leben.
Restauration soll im Kontext der Kunstwelt dabei nicht nur als ökonomische Handlung mit dem Ziel der Wiederherstellung begriffen werden, sondern auch als Ausdruck einer bestimmten Haltung: als Bereitschaft, die strukturellen Schäden, die unserem gemeinsamen Planeten und der dicht verwobenen Menschheit immer wieder zugefügt werden, ernst zu nehmen. Diese Schäden ungeschehen machen zu wollen, kann schnell entmutigend und abschreckend wirken. Begreift man Restauration dagegen eher im Sinne der Reparatur, so könnte das helfen, die dringend notwendige Aufmerksamkeit für die gegenseitige Sorge um sich und unser Zuhause zu schaffen.
Die Debatten über den Einfluss die Kunstindustrie auf die Umwelt (man denke nur an die Schäden, die das erhöhte Tourismus-Aufkommen zur Venedig-Biennale anrichtet) nehmen zu. Ebenso wichtig wäre es, daran zu erinnern, dass unsere koloniale Moderne schon lange ein globales Phänomen ist – und dass sie sich aufgrund der erdrückenden Beweislast nur als Rationalisierung von Gier und der gewinnorientierten Ausbeutung von Menschen und Orten beschreiben lässt.
Restauration als Reparatur zu begreifen bedeutet, einen umfassenden Haltungswechsel zu fordern und anzuerkennen, dass Menschen, Orte und Kunst grundlegend miteinander verwoben sind. Wohingegen Restitution auf ökonomischen Überlegungen fusst, die darauf abzielen, die Gewinne aus extraktiv gewonnenem Kapital umzuverteilen, ruft Restauration, begreift man sie als Reparatur, dazu auf, die ganz konkrete wie historische Verortung jeglicher Kapitalkonzentration anzuerkennen – und zwar als stetiges Ergebnis systematischer Handlungen, die das Leben einiger weniger auf Kosten vieler andere schützen. Nimmt man diese Tatsache ernst, so muss man sich eingestehen, dass ein derart gravierendes Ungleichgewicht nicht einfach entsprechend der heutigen, immer noch zugunsten alter und neuer Kolonialnationen ausgerichteten Marktwerte ausgeglichen werden kann.
Darüber hinaus beruht die aktuelle Restitutionsdebatte rund um das Raubgut, aus dem die gewaltigen Sammlungen der traditionellen Kunstweltinstitutionen bestehen, ausschliesslich auf der Annahme, die Raubenden (ebenso wie die unbekannte Zahl derer, die über Privatverkäufe und öffentliche Überschreibungen von diesem Raub profitieren) handelten nun endlich auf Grundlage progressiver Werte. Dabei geht man davon aus, dass – im Falle, dass alle anderen Bedingungen gleich sind (was sie aber eben nicht sind) – ein internationaler Ausgleich über die Rückgabe von Kunstobjekten organisiert werden kann, ohne dabei ebenfalls die Rolle bestimmter Haltungen und die gegenwärtige Organisation von staatlichen und privaten Institutionen zu berücksichtigen. Der Diskurs, so wie er sich gegenwärtig zeigt, stützt ein Wertesystem, das der Logik der Plündernden gehorcht. Wir müssen demgegenüber den Prozess der Restauration so begreifen, dass er zuvorderst auf einen Bewusstseinswandel abzielt. Würden es Museumsbeiräte, -Sponsor*innen und Sammler*innen etwa wagen, mit anderen staatlichen Akteur*innen und Institutionen in anderen als den traditionellen Kunstzentren zusammenzuarbeiten – Akteur*innen, die Restauration ebenfalls im Sinne von Reparatur verstehen – so hätte dies einen unmittelbaren Effekt. Jenseits der Zirkulation des Kapitals wäre es nicht das Schlechteste, der inklusiven Anerkennung der Menschlichkeit aller Menschen einen ebenso großen Stellenwert einzuräumen wie unserer Schuld gegenüber unserem kostbaren Planeten.
–Darla Migan
(Übersetzt von Dominikus Müller)
Dr. Darla Migan ist Kunstkritikerin und Wissenschaftlerin. Sie lebt in New York City. Ihre Essays erscheinen in Art in America, artnet News, The Brooklyn Rail, Cultured Magazine, Spike Art Magazine und Texte zur Kunst. Ab Herbst 2021 forscht sie im Rahmen des Independent Study Program of the Whitney Museum of American Art zu den Schnittstellen von Ethik und Ästhetik.