Gloria Hasnay über "Labour"

Ein Grossteil der Tätigkeiten innerhalb der Kunstwelt ist heutzutage von einer ausbeuterischen Logik bestimmt. Wer in einer Institution oder Galerie arbeitet, mit ihr kollaboriert oder als Gruppe oder Individuum mit ihr verbunden ist, ist viel zu oft mit unregulierten Strukturen konfrontiert und ist nicht selten gezwungen, sich für die geleistete Arbeit mit symbolischer anstatt finanzieller Entlohnung zufriedengeben zu müssen. Vor allem aber leben diese Tätigkeiten innerhalb der Kunstwelt von der un(ter)bezahlten Arbeit der Künstler*innen. Es wird überwiegend davon ausgegangen, dass sie sich über den Verkauf ihrer Arbeiten in Galerien finanzieren können – mit dem Ergebnis, dass größere nichtkommerzielle Kunsträume wie Museen die Verantwortung einer materiellen Kompensation der Künstler*innen oft auf den kommerziellen Sektor abgeben. Nicht alle Künstler*innen aber können oder wollen ihre Arbeiten verkaufen. Viele verdienen ihr Geld nebenher in verwandten Bereichen wie Kunst-Handling und -produktion oder gleich auf komplett anderem Weg. Nach wie vor stellen kollektive und selbstorganisierte Strukturen ein adäquates Mittel dar, um mit den prekären Arbeitsbedingungen, in denen sich viele Künstler*innen befinden, umzugehen und sie zu verändern. Solche Organisationsformen zu schaffen oder sich in ihnen zu engagieren kann ebenso eine Möglichkeit sein, um an (nicht nur finanzielle) Ressourcen zu kommen und diese umzuverteilen.
Ein Beispiel für ein solches alternatives Modell ist Yale Union, ein Non-Profit-Space, der zwischen 2010 und 2020 in Portland, Oregon, existierte. Gegründet und betrieben von Künstler*innen mit dem Zweck, Ausstellungen zu organisieren, Kunst zu schaffen und die Gemeinschaft vor Ort zu stärken, sollten bei Yale Union verschiedene Formen der Unterstützung und neue Produktionsmodi ausprobiert werden. Ausstellungen und anderweitige Veranstaltungen fanden in einem langsameren Tempo und in unregelmäßigen Abständen statt, und waren demnach von der permanenten Produktion kultureller Güter in einem sich ständig verändernden Kunstsystem entkoppelt. Yale Union wurde im sozioökonomischen Kontext von Portland gegründet und situierte sich auch stets darin. Die Künstler*innen dahinter verfolgten mit diesem Ort einen kritischen, aber auch selbstreflexiven Ansatz der „Institutionalisierung“ und fragten danach, welchen Einfluss ein solcher Ansatz auf künstlerische, kuratorische, vermittelnde, politische Praxen und Rechercheformate gleichermaßen haben könnte.
Flint Jamison, einer der Mitbegründer von Yale Union, greift seine Beteiligung an dem Projekt innerhalb seiner eigenen künstlerischen Praxis auf. Stets entwickelt Jamison seine Arbeiten in Bezug auf die Infrastrukturen und Dynamiken, die den entsprechenden Kontexten ihrer Produktion und Präsentation innewohnen und reflektiert dabei die Bedingungen künstlerischer Arbeit und ihrer (Re-)Präsentationsformen. Beispielhaft könnte man hier eine Serie von Tischskulpturen nennen, die er 2017 für eine Ausstellung in einer kommerziellen Galerie in Düsseldorf realisiert hat. Für diese Skulpturen adaptierte Jamison Display-Elemente aus einer Ausstellung bei Yale Union. Auf einer dieser Skulpturen wurde Jamisons Publikation 'YU Contemporary VS Dept. of Revenue Oregon & Mult. Co. Assessor' (2017) präsentiert, in welcher deren Aktivitäten skizziert und eine Rechtsverteidigung dokumentiert wurde, mit der Yale Union vor Gericht um die Bewahrung ihres Status als Non-Profit-Organisation streiten musste. Zwei weitere Skulpturen hatten neben der ästhetischen Dimension auch eine praktische Funktion: Die Tische dienten als Arbeitsplätze in der Galerie. Jamisons Skulpturen funktionieren also als Kunstwerke, Möbel und Werkzeuge gleichermaßen – und regen ein Nachdenken über die in der Kunstwelt vorherrschenden systemischen Kräfte an.
Jamisons Ansatz weist eine gewisse Verwandtschaft mit anderen konzeptuellen künstlerischen Praxen wie beispielsweise von Bea Schlingelhoff und Carissa Rodriguez auf. Alle Künstler*innen berücksichtigen in ihrer Arbeit, die sich bis hin in die Lehre erstreckt, das wechselseitige Verhältnis zwischen künstlerischer Praxis, sozioökonomischem Kontext und den Mechanismen des Ausstellens. Dazu kommt nicht selten eine prozesshafte Befragung der jeweiligen Ausstellungsorte und die Frage danach, inwiefern künstlerische Gesten die Funktion unterschiedlicher institutioneller Formen nachhaltig verändern können. Was solchen Praktiken innewohnt, ist die Auseinandersetzung mit den materiellen und sozialen Bedingungen, unter denen Kunst produziert und präsentiert wird – und die Annahme, dass wir unsere eigene Verstrickung in die unregulierten Strukturen der Kunstwelt erkennen müssen, um die Reproduktion darin existierender Verhältnisse zu überwinden.
–Gloria Hasnay
(Übersetzt von Dominikus Müller)
Gloria Hasnay ist Kuratorin am Kunstverein München. Bisherige und kommende Projekte dort umfassen eine Einzelausstellung von Bea Schlingelhoff (September 2021), die Einzelausstellung 'Hold' von Patricia L. Boyd (2021) sowie, zusammen mit Maurin Dietrich, die Gruppenausstellung 'Not Working – Künstlerische Produktion und soziale Klasse' (2020). Außerdem verantwortet sie seit Oktober 2019 die Onsite- und Online-Serie 'Schaufenster'. Als freie Kuratorin realisierte sie zuvor zusammen mit Moritz Nebenführ u. a. die Einzelausstellung 'Kempens Informatieblad' von Jef Geys am Künstlerhaus Bremen (2019) sowie die Gruppenausstellung 'ITS INTERIOR/AND A FACADE' am Badischen Kunstverein (2018).