Michał Grzegorzek über "Mortality"

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Sprechen wir Ania Nowak nach: „Bedrängnis / Gemeinschaft / Veränderung“.

Denn wir wurden wieder einmal daran erinnert, dass wir sterblich sind. So ein Wissen – ein Wissen, mit dem man nichts anfangen kann – möchte niemand einfach so aufgedrängt bekommen: Es verleiht keine Macht und doch – et in Arcadia ego – müssen wir uns dazu verhalten. In der zeitgenössischen Kunst ist Sterblichkeit, sowohl buchstäblich wie metaphorisch, ein Thema wie wenige andere. Die Rede von der „Krise“ ist derart weitgefasst, dass ein Begriff wie „Sterblichkeit“ in diesem Kontext scheinbar endlos dekliniert werden kann. Künstler*innen widmen sich sich den Themen von Tod, Sterben und Trauer im vollen Bewusstsein darum, dass es stets bessere und schlechtere Tode gibt. Selbst angesichts einer Pandemie oder der Klimakrise, die eigentlich alle auf dem gesamten Planeten betreffen, herrscht keine Gleichheit. Sterblichkeit ist immer ungleich verteilt. Bei der Frage danach, welche Körper nun stärker vom Tod bedroht sind, beginnen die Zweifel: Welche Form von Trauerritualen benötigen wir heute? Wie kann man in einem System wie dem unseren, das auf Beschleunigung und konstante Produktion ausgerichtet ist, Zeit und Raum für Trauer schaffen? Wie lässt sich Gemeinschaft in Zeiten von Social Distancing aufrechterhalten? Und vor allem: Wie können Trauer und Trauerarbeit zu Formen des Widerstands gegen die Unterdrückung werden?

Sprechen wir den Protestierenden aus dem Bassiani-Nachtclub in Tiflis nach: „Wir tanzen zusammen, wir kämpfen zusammen.“

Weil wir den Tod fürchten, gehen wir auf die Strasse. Unsere Antwort auf die Angst ist ziviler Ungehorsam, ein Sich-Erheben gegen institutionelle Gewalt. Man kann dabei beobachten, wie sich aus individuellen Körpern ein Kollektivkörper herausbildet. Im Denken über die Formen des Widerstands hat sich etwas verändert: selbstchoreografierte Proteste, improvisierte Tänze und „Rave Riots“, „Call-outs“, Dokumentarpraktiken und Solidaritätsaktionen. Um nur einige Namen in diesem Kontext zu nennen: Nan Goldin, Wolfgang Tillmans, Tania Bruguera, Ligia Lewis, Paul Maheke, Jana Shostak, Liliana Piskorska, Kanas Liu, das Archive of Public Protests und die Kollektive Las Tesis und Oramics. Die, die nicht einverstanden sind, sind viele. Zusammen lässt sich die Vorstellung vom Körper des Protests verändern: nicht maskulin, unfehlbar und unsterblich, sondern krank und schwach. Unsere Körper müssen innehalten, um wieder zu Kräften zu kommen. Doch was wie eine Erholungspause wirkt, ist in Wahrheit eine kaum merkliche Bewegung. Daran erinnern uns, neben vielen anderen, beispielsweise Johanna Hedva, Romily Alice Walden. Wir suchen nach neuen Werkzeugen und Räumen, um unserer Wut und unserer Trauer Ausdruck zu verleihen. Die Werkzeuge und Räume unserer Väter lassen wir dabei immer weiter hinter uns. Wir errichten keine Scheiterhäufen, aber wir stürzen Denkmäler und Statuen.

Sprechen wir Every Ocean Hughes nach: „Wie kann man in einem Museum lebendig sein?“

Denn nicht nur Menschen sterben. Auch das stille Leben der Objekte ist dem Schicksal geweiht. Was Institutionen am stärksten fürchten, ist das Ende von Konzepten, von Definitionen, Systemen und Autoritätsfiguren. Künstlerische Institutionen müssen sich Herausforderungen wie Inklusivität, horizontaler Organisation und der Glaubwürdigkeit stellen. Gerippe, lebende Tote und Ruinen beginnen immer dann uninteressant zu werden, wenn neue Formen auftauchen, die sich mit Leben füllen lassen. Zu beobachten ist das beispielsweise bei der Pickle Bar von Slavs and Tatars, beim Kollektiv Kem’s School oder bei Karol Radziszewskis Queer Archives Institute. Das Wissen um unsere Sterblichkeit kann uns helfen zu begreifen, wie wir leben sollen. Nicht umsonst ist ein Begriff von Sterblichkeit zentraler Bestandteil einer Politik der Freundschaft und von Konzepten wie Care, Heilung oder Community Building.

Wiederholen wir nach Oreet Ashery: How We Die Is How We Live Only More So.

–Michał Grzegorzek
(Übersetzt von Dominikus Müller)

Michał Grzegorzek lebt und arbeitet in Warschau, Polen. Seit 2016 arbeitet er eng mit dem Ujazdowski Castle Centre for Contemporary Art, wo er Kurator im Bereich performative Künste ist. In seiner Arbeit interessiert er sich für Queer Theory in den visuellen und darstellenden Künsten und für experimentelle Ausstellungsformate. Zusammen mit Mateusz Szymanówka betreibt er das performative und diskursive Programm To Be Real, das sich der Beziehung zwischen zeitgenössischer Performance und Clubkultur widmet. Seit 2017 organisiert er das unabhängige queere Festival POMADA in Warschau.

Michał Grzegorzek, Foto: Anu Czerwiński
Michał Grzegorzek, Foto: Anu Czerwiński

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