Essay von Jacob Fabricius
How can you just leave me standing? – Wie kannst du mich einfach so stehen lassen?
Dig, if you will, the picture. Of you and I engaged in a kiss. The sweat of your body covers me. Can you, my darling, can you picture this? Dream, if you can, a courtyard. An ocean of violets in bloom. Animals strike curious poses. They feel the heat, the heat between me and you. – Stell dir, wenn dir danach ist, dieses Bild vor. Du und ich, uns küssend. Ich bin bedeckt von deinem Schweiß. Kannst du, mein Schatz, dir das vorstellen? Träum, wenn dir danach ist, von einem Innenhof. Ein Meer aus blühenden Veilchen. Tiere nehmen kuriose Posen ein. Sie spüren die Glut, die Glut zwischen dir und mir.*
Spürst du den Raum zwischen mir und dir? Spürst du den Raum zwischen dir und dem Körper neben dir? Spürst du den Raum zwischen der Performerin und dir? Vertiefe dich, wenn dir danach ist. Partizipiere, wenn dir danach ist. Fühle, wenn dir danach ist. Schwitze, wenn dir danach ist. Pose, wenn dir danach ist. Höre zu, wenn dir danach ist. Touch, if you will, my stomach – Berühre, wenn dir danach ist, meinen Bauch.
Beim Schreiben dieser Einführung über die Künstler*innen der Liste 2025 kam mir When Doves Cry von Prince and the Revolution in den Sinn. Der Song hat zwar eigentlich nichts mit den Performer*innen der Liste zu tun, aber seine Fluidität, seine sanften Kurven und scharfen Kanten, die verschwitzten und öligen Körper, die fragilen und klagenden Gitarren, die Sanftheit und die verführerischen Worte erinnern mich an die relationalen Räume, in denen sich die Performer*innen bewegen. Ich muss an Beziehungen denken. An Beziehungen zwischen Körpern. Zwischen Körpern in Räumen. Zwischen performenden Körpern. Zwischen Körpern, die anderen Körpern zuschauen. Zwischen Körpern, die sich in Räumen bewegen, die von performenden Körpern eingenommen werden. How can you just leave me standing? – Wie kannst du mich einfach so stehen lassen?
Beim Hören von When Doves Cry stellt sich mir die Frage: Wie kann ein Wort oder ein Satz die Bewegung eines Körpers einfangen? Wie können Momente einer Bewegung in einem Bild, einem Foto oder einem Lied dargestellt werden? Wie bringen mich die subtilen Gesten des Körpers dazu, stillzustehen und zuzuhörenEine gute Performance zähmt mich, überwältigt mich, verwirrt mich und lässt mich nach mehr verlangen. Ich möchte diesen Moment festhalten (du etwa nicht?). Yeah, yeah, yeah, yeah, yeah.
When Doves Cry bringt mich zum Nachdenken: Wie nah ist zu nah? Kann ich das Make-up auf deinen Augen sein? Kann ich einen leisen Akkordeon-Schrei ausstoßen? Kann ich mich mit deinen Klängen übergießen und deine Maske tragen? Was verbirgt sich hinter der Maske? Was befindet sich unter deinen Füßen? Kannst du mir sagen, wie du das Seegras zum Pfeifen bringst? Can you, my darling, can you picture this? – Kannst du dir das, mein Schatz, vorstellen? Wie kann der kleinste Ton die Kraft eines Donners haben? Why do we scream at each other? – Warum schreien wir uns gegenseitig an?
Einmal sagte mir ein Liebhaber, ich solle mentale Fotos machen, und zeigte mir, wie man mit vier Fingern ein Rechteck formt und mit dem geistigen Auge wie eine echte Fotografin Aufnahmen anfertigt. Seitdem habe ich das Meer, Sonnenuntergänge, nackte Körper, Blumen und Performances fotografiert. Ich speichere die Bilder auf meiner internen Festplatte und rufe sie gelegentlich wieder ab. Bitte nimm dir sechs Tage Zeit, um die Performer*innen zu erleben. Bitte bleib sechs Tage lang an meiner Seite. Beobachte die Hände der Performer*innen. Beobachte ihre Füße. Beobachte einfach. Ganz genau. Feel how it trembles inside – Spüre das Zittern im Inneren.
Koste die Zukunft in Søren Aagaards düsterer Science-Fiction-Fantasy-Kochsession und in Éva Mags sinnlich-dystopischer Performance, in der menschenähnliche Körper kopiert werden. Erlebe, wie Enad Marouf einen Cruising-Tanz zwischen zwei Fremden inszeniert – einen Tanz der Begierde, aber auch der Unsicherheit und der unbekannten Sehnsucht. You've got the butterflies all tied up – Du hast die Schmetterlinge in der Hand.
Begib dich auf eine Reise in die Welt des koreanischen Schamanismus, bei der Hyeji Nam Identität, Spiritualität und Kultur durch Körper, Bewegung und Masken neu interpretiert. Jage in den Performances von Juliette Blightman Körpern und Themen in häuslichen Räumen nach, während sich die Grenzen zwischen privaten Momenten und gemeinsamer, kollektiver Intimität verschieben. Don't make me chase you, even doves have pride – Zwinge mich nicht, dir hinterherzulaufen – auch Tauben haben ihren Stolz.
Erlebe die politische, bewegende und intime Kunst von Jules Fisher, in der er sich mit unseren engsten Beziehungen und destruktiven emotionalen Mustern auseinandersetzt. Spüre, wie Adam Christensen sein queeres Herz poetisch herausreißt und die zerfetzten Ränder mit all ihren verletzlichen Ängsten in Songs und Zeichnungen präsentiert. Entdecke ökologischen Wandel und die Geschichte der Seenfrauen Südkoreas in einer multisensorischen Klangperformance von Yujin Jung. This is what it sounds like. When doves cry – So klingt es. Wenn Tauben weinen.
Lass die Hektik hinter dir und gib dich dem Moment hin. Lausche dem funkelnden Glitzern der Sonnenstrahlen, die auf die sanften Wellen treffen. Ich bitte dich, mich sechs Tage lang stehen zu lassen. Bleib, wenn du kannst. Maybe I'm just too demanding – Vielleicht will ich einfach zu viel.
*Die unterstrichenen Textstellen stammen aus dem am 16. Mai 1984 erschienenen Song When Doves Cry von Prince and the Revolution.
Performances
Adam Christensen, Lene
Die Performance ist eine Hommage an die Mutter des Künstlers, die im vergangenen Frühjahr verstorben ist. Sie enthält verschiedene Tonaufnahmen aus ihren letzten Wochen - Texte, Lieder, die Adam mit seinem Akkordeon begleitet. Als Kulisse dient Papier, das an die großen Fenster geklebt wird und auf dem er live Zeichnungen anfertigt. Indem er Löcher in das Papier reißt, lässt der Künstler das Licht durchdringen.
Søren Aagaard, Cafe Zero [Liste Edition 2025]
Performende: Søren Aagaard, Holger Hartvig, Markus Oxelman
Cafe Zero ist eine Sci-Fi-Fantasy-Kochsession, die die New-Nordic-Bewegung und eine ungewisse Zukunft erkundet. Das Publikum verfolgt die Zubereitung und Verkostung eines Menüs aus lokalen Zutaten. Auf einem Campingplatz mit zwei Zelten inszenieren die Künstler gemeinschaftliche Rituale, kochen zusammen und führen Gespräche über Mikroorganismen und ihre Rolle bei Gesundheits- und Umweltkrisen. Begleitet von Mikrobenliedern von Holger Hartvig. Kostüme von Anne Sofie Madsen.
Éva Mag, Operation Analysis – One Waxes a Body
Performende: Alberto Papparotto und Rondi Par
Eine grosser Gussform steht prominent im Raum, während zwei Performer:innen methodisch Wachs schmelzen und in den Rahmen gießen. Im Laufe der Zeit extrahieren sie sorgfältig eine menschengroße Wachsfigur aus der Form, platzieren sie behutsam auf dem Boden und schmelzen sie dann erneut in einem endlosen, zyklischen Ritual ein.
Juliette Blightman, After Party A/W 25/26
Sound: Wayne Binitie, Art Lewy
Performer:innen: Sarafina Beck,Harumi Mumenthaler
After Party führt das Publikum durch eine 12-minütige Komposition von Wayne Binitie und Art Lewy, die speziell für Juliette Blightmans Gemälde und Kleidungsstücke der Kollektion A/W 25/26 entstand. Der Soundtrack verbindet klassische und moderne Genres und ähnelt einer After-Party-Playlist, die die unterschiedlichen Stimmungen eines Abends widerspiegelt. Die Tänzer:innen Sarafina Beck und Harumi Mumenthaler interpretieren die Bewegungen in Bezug auf die Gemälde und die Musik. Zusammen mit den Laufstegmodels präsentieren sie eine Auswahl aus Blightmans Kollektion, die sich an den Gemälden der Installation House Party sowie an Fotos von Feuerwerken und monumentalen Gebäuden orientiert.
Juliette Blightman, House Party
MetLife (after IG), Vauxhall’s Pleasure Garden, Building 1, Schade
Alle Gouache auf Leinwand, 2025
House Party ist eine Malerei-Installation, die markante Gebäude aus London, New York, Basel und Turin zeigt. Die bekannten Wahrzeichen tauchen aus abstrakten Landschaftsgemälden auf und schaffen eine visuelle Erfahrung urbaner Räume. Die Gemälde wirken wie Leuchttürme, die die Betrachtenden in Zeit und Raum verorten und eine alternative Realität eröffnen. Mit Grafit und Gouache auf Kaliko gemalt, spiegeln sie den Tagesverlauf von Tag zu Nacht wider. Ein fotografischer Druck zeigt den Blick aus Carol Ramas Küche in Turin auf die Mole Antonelliana. Die Installation befindet sich im Mezzaninze der Messe und vermittelt ein Gefühl von Andersartigkeit auf dem Weg zur Fair Hall. House Party ist Teil der 12-minütigen Performance After Party.
Jules Fischer, Lesions
Performerin: Lydia Östberg Diakité
Stimme: Susanne Sachsse
Soundtrack: Aase Nielsen & holger hartvig
Lichtdesign: Sofia Stål
Lesions verwebt Paul B. Preciados Testo Junkie mit der TV-Serie Designing Women. Die ikonische deutsche Schauspielerin Susanne Sachsse spricht den Text in einer Lipsync-Performance. Ein rotierender Scheinwerfer diktiert den Raum – mal wie ein heranrasender Lastwagen, mal wie ein unerbittliches Theaterlicht – und schwankt zwischen blendender und aufklärender Beleuchtung von Performerin und Publikum. Im Verlauf der Performance wird ihre allmähliche Erschöpfung sichtbar, ebenso wie ihr absurder Kampf, eine bestimmte Form aufrechtzuerhalten – gefangen in einer Erzählung und Szene, über die sie kaum Kontrolle hat.
Yujin Jung, Longing Energies: Ceremonial Recurrence
Performende: Yujin Jung (mit Koch Markus Oxelman)
Ceremonial Recurrence ist eine Live-Kochperformance, die als Teil der Longing Energies-Serie ökologische Transformation durch die Zubereitung von Seetangsuppe erforscht – ein Gericht, das traditionell zur postpartalen Pflege serviert wird. Inspiriert von den Haenyeo-Taucher:innen in Südkorea verbindet Jung Klang, Ritual und die Geschichte des Meeres. Die Performance endet mit dem gemeinschaftlichen Teilen der Suppe als Zeichen für Nahrung und Interkonnektivität.
Enad Marouf, And Now It Is Night
Performende: Jao Moon, Samuel Pereira
Musik: Bell Towers
Enad Marouf zeigt eine Strophe aus seiner Performance And Now It Is Night – einem Cruising-Tanz zwischen zwei Fremden, der von Begehren, Unsicherheit und dem Unbekannten handelt. Bewegung, Sprache und Klang erscheinen und verschwinden dabei in einem fragmentierten Zusammenspiel. Die Performance lädt zu einer nichtlinearen Meditation über Trauer, Verlangen, Erinnerung und Unsicherheit ein.
Eine Produktion von Enad Marouf, koproduziert von K3 | Tanzplan Hamburg. Gefördert durch den Fonds Darstellende Künste im Rahmen von NEUSTART KULTUR.
Hyeji Nam, MANSHIN
In diesem Ritual leert sich Hyeji Nam, um eine Parade wandelbarer Köpfe zu beherbergen. Beeinflusst von koreanischer schamanistischer Praxis durchdringen Atem, weißes Rauschen und sich verändernde Körperlichkeiten den Raum. Immer wieder reinigt Nam den Raum , um den nächsten Kopf willkommen zu heißen. Glitch-Masken leiten Identitätstags, spirituelle und kulturelle Codes sowie sensorische Daten um. Jeder Kopf beansprucht den Körper, bevor er zurück in die Leere gleitet. Das Publikum sieht sich zwischen Schrein und Sci-Fi-Labor hin- und hergerissen und erlebt Identität in Echtzeit flackern, abwerfen und neu starten.